1. Adventfenster

Adventkalender 2021 als Zusammenfassung von Giorgio Agambens Buch

„An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik“

1. Adventfenster – Zusammenfassung des Vorwortes (Juni 2020)


„Das Schiff sinkt und wir streiten über seine Ladung“

von Hieronymus

Worum geht es Agamben? Er möchte die ethischen Folgen und den politischen Paradigmenwechsel, die sich anhand der Ausnahmeverordnungen abzeichnen, in einen breiteren historischen Kontext stellen.

Agamben meint, dass die vorherrschenden Kräfte dieser Welt, die (tatsächliche oder scheinbare) Pandemie bewusst als Vorwand für ein völlig neues Regieren der Dinge und Menschen nehmen.

Dieses neue Regieren entspricht nicht etwa den grundlegenden administrativen, militärischen und wirtschaftlichen Reformen des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert, die von Herrschern wie Diokletian und Konstantin gesetzt wurden und später in der konstantinischen Autokratie gipfelten.

Sondern dieses neue Regieren gibt die bürgerlichen Demokratien (Rechte, Parlament, Verfassung) auf, um Platz zu machen für ein neues Dispositiv, deren Umrisse wahrscheinlich nicht einmal deren Architekten deutlich erkennen.

Diese neue Regierungsform nennt Agamben die Große Transformation. Sie gründet nicht auf einer neuen gesetzlichen Ordnung, sondern auf dem permanenten Ausnahmezustand, also auf der Aufhebung sämtlich geltender verfassungsrechtlicher Garantien.

Agamben sieht hier Berührungspunkte mit dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland 1933, als Reichskanzler Hitler den permanenten (12 Jahre andauernden) Ausnahmezustand verhängt hat, ohne die Weimarer Verfassung außer Kraft zu setzen oder abzuschaffen, sie jedoch de facto zunichte gemacht hat.

Der Nationalsozialismus entfaltete dazu einen totalitären ideologischen Apparat. Heute fußt die Umgestaltung auf bloßem Gesundheitsterror, einer Art Gesundheitsreligion. Diese neue Religion fußt darauf, dass das Recht auf Gesundheit in eine juridisch-religiöse Pflicht zur Gesundheit umschlägt, die alle Bürger/innen um jeden Preis zu erfüllen haben.

Der Ausnahmezustand ist lt. Agamben somit das juristische und die Wissenschaft das religiöse Dispositiv dieser neuen Regierungsform. Die Durchsetzung erfolgt durch die digitalen Technologien, welche die zwischenmenschliche Interaktion der verordneten sozialen Distanzierung ermöglichen, wodurch die sozialen Kontakte vom Physischen ins Virtuelle verlagert werden. Wer nicht verbunden ist, ist zur Marginalität verurteilt.

Dieses neue Regierungsdispositiv nennt Agamben „Biosicherheit“. Es geht aus der Verbindung der neuen Gesundheitsreligion und dem staatlich verwalteten Ausnahmezustand hervor. Für Agamben ist dies möglicherweise eines der machtvollsten Dispositive in der gesamten westlichen Geschichte.

Dennoch hat auch dieses Dispositiv seine Schwächen. Denn die Ausbreitung des Gesundheitsterrors benötigt ein lückenloses gleichgeschaltetes Mediensystem. Jedoch hat, wie jeder Glaube, auch die neue medizinische Religion ihre Häresien.

Dies äußert sich in kritischen Stimmen auch namhafter Personen, welche die Realität und das Ausmaß der Pandemie hinterfragen und die täglich veröffentlichten Statistiken, als Zahlen die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren bezeichnen. Dessen sind sich lt. Agamben auch die politischen Entscheidungsträger bewusst, sonst hätten sie niemals zu so drastischen inhumanen Maßnahmen gegriffen.

Agamben wundert sich dennoch darüber, dass die Menschen dermaßen dazu bereit sind, sobald ihre Gesundheit bedroht ist, derartige Freiheitseinschränkungen hinzunehmen, die sie im 20. Jahrhundert weder während der beiden Weltkriege noch unter dem Joch totalitärer Regime geduldet hätten.

Zu seiner Heimat Italien meint Agamben, dass der Ausnahmezustand als längste Aufhebung der Legalität in die Geschichte Italiens eingehen wird. Dies stößt auf keinerlei Widerstand seitens der Bevölkerung oder der zuständigen Institutionen. Nach China ist somit Italien das erste westliche Labor für die neue Regierungstechnik.

Agamben meint, dass eines Tages, wenn die Historiker die reale Dimension der Pandemie durchleuchtet haben werden, dies als eine der wahrscheinlich schäbigsten Zeiten in die italienische Geschichte eingehen wird. Die Machthabenden werden dann als unverantwortliche, skrupellose Gestalten, die abseits jedes ethischen Rahmens handelten, betrachtet werden.

Was sollen/können wir also tun, um unsere alten politischen bürgerlichen Demokratien, die sich im unaufhaltsamen Niedergang befinden und den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind, vor dem allmählichen Verfall in einen Gesundheitsterror zu bewahren?

Es werden neue Widerstandformen erforderlich sein, denen sich alle vorbehaltlos anschließen sollen, die an der Idee einer zukünftigen Politik festhalten, die weder die Gestalt der überholten, bürgerlichen Demokratien noch die Gestalt der technologisch gesundheitlichen Zwangsherrschaft annimmt.




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