Wege raus aus der Spaltung der Gesellschaft – ICUs

Die Frage ist, wie wir wieder aus der Spaltung der Gesellschaft raus kommen können. Ein transparenter, öffentlicher fachlicher Diskurs ist dazu nötig.

Besorgte Menschen fürchten, dass die Intensivstationen überlastet sind und noch mehr überlastet werden. Aber ist diese Sorge wirklich berechtigt?

  1. Erstens sollte einmal die Datenlage dazu geklärt werden, denn es gibt Behauptungen, dass auch nicht intensivpflichtige Patienten auf die Intensive Care Units (ICUs) gelegt würden. Auch sollten die seit Beginn der Pandemie definierten Umstände „an oder mit Corona“ gestorben (bzw. „intensivpflichtig geworden“) differenziert werden. Dazu sind Daten prinzipiell ausreichend vorhanden. Spitalsärzte, die auf Intensivstationen arbeiten, kennen die Erhebung des SAPS II bei Aufnahme auf die ICU und dann die laufende Therapeutic Intervention Scoring System (TISS) – Erfassung. Auch Extrakorporale Membranoygenierungen (ECMOs) betreffen glücklicherweise ja bei weitem nicht jeden PCR-positiven Intensivpatienten und werden auch genau erhoben. Von einem Intensivmediziner wurde ich auf bisher gemachte Erfahrungen in der Behandlung der intensivpflichtigen Coronapatienten hingewiesen: statt mechanische Beatmung wird nun oft versucht, high-flow-CPAP mit bis zu 100l O2/min zu ermöglichen. Die Lagerung des Patienten sei ebenfalls zentral für den Outcome: möglichst mindestens 70 % der Zeit sollte Bauchlagerung ermöglicht werden (vor allem wichtig für stark adipöse Patienten, aber auch für die anderen Patienten). Dass Intensiv-Betten auch belegt werden, die für einen bestimmten Zweck vorgesehen sind, auch wenn die Notwendigkeit gar nicht gegeben ist, wird in der Krankenhausökonomie (und generell in der Gesundheitsökonomie) als „angebotsinduzierte Nachfrage“ benannt.

2. sollten jetzt schon, also vor dem „Überlasten der ICUs“ die Kapazitäten der Intensivstationen und des Personals erhöht werden, was man schon seit mindestens 22 Monaten hätte tun sollen. Laut http://www.kaz.bmg.gv.at/fileadmin/user_upload/Publikationen/UEREG_2019.pdf gab es 2019 2.581 systemisierte Intensivbetten, das hätte mindestens auf 3.000 erhöht werden können, und zwar als tatsächlich aufgestellte Intensivbetten. Es wäre auch genug Zeit gewesen, Personalressourcen aufzubauen. Laut Orf (https://orf.at/corona/daten/oesterreich) waren in den letzten Monaten maximal (am 23.11.2021) etwa 4.000 Patienten wegen Corona auf der Normalstation und 700 auf der ICU aufgenommen. Man könnte auch sagen, da waren ca. 1/7 der Spitalsaufgenommen auf der Intensivstation. Laut https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20170313_OTS0045/das-war-die-influenza-saison-201617 waren in der Saison 2016/17 am Höhepunkt der Grippewelle 500 Influenza-Patienten in KAV-Spitälern aufgenommen (also ohne AKH). Wenn ich jetzt (mangels besserer mir jetzt zugänglicher Daten) hochschätze, dass österreichweit zu der Zeit etwa maximal 2.000 Influenzapatienten im Spital waren, und davon wieder 1/7  auf der ICU, dann erhalte ich ca. 300 ICU-Betten, die also schon immer für Influenzapatienten reserviert waren. Und die Influenza ist ja 2020/21 defacto ausgefallen. Auch bei einer nur 20%-igen Erhöhung der ICU-Betten in den letzten 22 Monaten wären nun ausreichend ICU-Betten vorhanden gewesen, ohne auch nur ein Intensivbett für andere Fälle „wegnehmen“ zu müssen.

3. Vor dem Überlasten der ICU-Betten sollte im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung und unter Einhaltung der Verfassung ausverhandelt werden, dass der Bund die zentrale Belegung von ICU-Betten tagesaktuell in Österreich vornehmen kann, analog den Bettenzentralen. Eine kompetente Stelle wäre dafür zu bestimmen oder zu schaffen. Die Verhandlungsprotokolle mit den Ländern wären transparent dazu zu veröffentlichen.

4. Vor dem Überlaste der ICU-Betten sollte im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung und unter Einhaltung der Verfassung ausverhandelt werden, dass der Bund mit den Nachbarländern Österreichs eine koordinierte Belegung von ICU-Betten mit anderen Regionen der Nachbarländer wochenaktuell kontingentieren kann, analog den Bettenzentralen. Die Verhandlungsprotokolle mit den Nachbarländern und deren Nachbarregionen sollten transparent dazu veröffentlicht werden. Ein Abgeltungs- und Qualitätssicherungssystem dafür müsste entwickelt werden, basierend auf dem Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung- (LKF) und Austrian Inpatient Quality Indicator (AIQI)-System.

5. Freiwillige Maßnahmen, die auf das aktuelle Ausbruchsgeschehen Bezug nehmen, sind zu definieren und zu kommunizieren, auf die Risikogruppen und deren Betreuungs- und Kontaktpersonen hin bezogen. Museen und Ausstellungen zu schließen, wenn die immobilen Kranken aus Pflegeheimen stammen, ist sinnlos. Die Lockdown-Maßnahmen im Ländervergleich (Ioannidis et al, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/eci.13484) zeigen, dass kein signifikanter Vorteil von Lockdowns auf den Fallanstieg zu sehen ist („we do not find significant benefits on case growth of more restrictive nonpharmaceutical interventions. Similar reductions in case growth may be achievable with less-restrictive interventions.“) 

Die Omikron-Variante scheint sogar hilfreich zu sein, auch wenn die Studien noch nicht in großem Umfang da sind: höhere Infektiosität bei geringerer Pathogenität bedeutet ein Verdrängen der gefährlicheren Delta-Variante und damit weniger Bedarf an ICU-Betten bei gleicher Fallzahl (siehe British Medical Journal: https://doi.org/10.1136/bmj.n3104: Covid-19: Omicron is causing more infections but fewer hospital admissions than delta, South African data show).

Die kommunizierten und bekannten Maßnahmen an sich machen natürlich Sinn, aber der Zwang dazu macht keinen Sinn. Hände waschen, in die Armbeuge niesen, Abstand halten, insbesondere bei Husten und Niesen und in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen. Bei grippalen Infekten generell zu Hause bleiben und auskurieren. Bei symptomlosen Menschen ohne Betreuung von Risikogruppen nur freiwilliges Testen. Auch wer will soll Maske tragen. Aber der Zwang bringt nichts, siehe die Ioannidis-Studie oben. Im Gegenteil, sinnlose Maßnahmen erzeugen Widerstand, der sich dann auch negativ auf die Umsetzung in prinzipiell sinnvollen Situationen auswirkt.

Der Rechnungshof hatte noch vor der Corona-Pandemie kritisiert, dass in Österreich zu viel Intensivkapazitäten vorhanden wären. Nach Deutschland hätten wir europaweit die zweithöchste Intensivkapazität. In der Pandemie zeigt sich, zumindest mit den bisher veröffentlichten Zahlen, dass es eben doch zu wenig war. Außer es stellt sich heraus, dass die vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Zahlen nicht verwendbar sind, wie ich im ersten Punkt oben beschrieben habe. Auch der Rechnungshof darf zugeben, dass er sich geirrt hat und dass wir eben mehr ICU-Betten und -Personal benötigen, zumindest als schnell aktivierbare Reservekapazität. Es kann ja auch einmal andere Situationen geben, z.B. tatsächlich ein Ebola-Ausbruch oder ein neues Virus mit vergleichbarer Mortalität.

Eine Aufstockung der Intensivbetten um 20 % würde alle Spitzen abfangen und einen sonst ungestörten Krankenhausbetrieb ohne „Kollateralschäden“ der sonst unversorgten anderen Nicht-Covid-Patienten ermöglichen.

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